Die vielen Fragen von Medienvertretern und Geschäftspartnern zu den Vorkommnissen rund um das Eritrea-Festival am Wochenende 8./9. Juli 2023 haben wir in der Form eines Interviews zusammengefasst.
Auch wir mussten uns zunächst mit der Sachlage auseinandersetzen und haben, um
Missverständnisse zu vermeiden, unsere Stellungnahme zunächst zurückgehalten.
Die Antworten in diesem Interview gibt der Geschäftsführer Roland Zwerenz.
Frage: Wieso haben Sie Ihr Gelände an das Eritrea-Festival vermietet?
Antwort: Durch das eritreische Konsulat mit Sitz in Frankfurt kam 2011 die Anfrage nach Räumlichkeiten für ein Kulturfestival. Wir konnten in der Vermietung an das Konsulat keine Probleme erkennen. Auch seitens des Ordnungsamtes der Stadt Gießen gab es diesbezüglich keinerlei Einwände. Damit fand seit 2011 jährlich das Eritrea-Festival in unseren Hallen statt. Die Zusammenarbeit mit dem Konsulat verlief reibungslos und das Festival friedlich. Genauso wie in den folgenden Jahren. Es nahmen hin und wieder auch Vertreter der heimischen Politik an der Veranstaltung teil.
Frage: Wussten Sie nicht, dass in Eritrea ein Unrechtsregime an der Macht ist?
Antwort: Die Besucher des Festivals sind überwiegend bereits seit inzwischen weit über 30 Jahren in Deutschland lebende Eritreer, die vor dem Bürgerkrieg in Äthiopien geflohen sind, aus dem sich 1993 der Staat Eritrea abspaltete. Viele der Menschen haben zwischenzeitlich einen deutschen Pass, sind mit Deutschen verheiratet, haben eine gute Ausbildung und sind integriert in unsere Gesellschaft. Bei Mietanfragen forschen wir nicht im Einzelnen nach, das ist die Aufgabe der Behörden, die von uns über die geplanten Veranstaltungen informiert werden. Falls etwas vorliegt, melden die sich bei uns und wir arbeiten zusammen.
Frage: Es wird gesagt, dass das Festival zur Unterstützung der Diktatur in Eritrea dient. Wie stehen Sie dazu?
Antwort: Das Regime in Eritrea ist keinesfalls unterstützenswert. Wer seit vielen Jahren in Deutschland integriert lebt, hat die Vorzüge eines Rechtsstaats erfahren und wird es wohl genauso sehen. Deshalb sollte man vorsichtig sein, jeden Besucher des Festivals als Unterstützer des Diktators anzusehen. Die Besucher haben sicher verschiedenste Motive das Festival aufzusuchen. Sei es der Austausch, der Kontakt untereinander, die eigene Sprache, Musik oder Tanz. Wenn man so lange weg ist aus seinem Geburtsland, ist es menschlich nachvollziehbar, dass die bekannte Kultur nicht gänzlich in Vergessenheit geraten soll. Zudem haben sicher Viele eritreischer Herkunft noch Verwandte oder Freunde im Land. Der Kontakt zu diesen soll aufrechterhalten werden.
Frage: Nach dem Angriff auf das Aufbauteam eines eritreischen Konzerts im vergangenen Jahr, haben Sie dennoch für das Festival in diesem Jahr vermietet. Wieso?
Antwort: Das Festival ist im vergangenen Jahr völlig ruhig, ohne Gegendemonstration über die Bühne gegangen, einer Fortsetzung stand nichts im Weg. Der Initiator der bis dahin friedlichen Demonstrationen, der Stadtverordnete Grothe, war nach den beiden LockdownJahren nicht aktiv geworden. Das hat er dann wenige Wochen nach dem Festival zu einem eritreischen Konzert nachgeholt. Dort sollte der so bezeichnete Chefpropagandist des Regimes auftreten. Wenn das Konzert ein Auftritt eines Agitators für Gewalt sein sollte, wie es dargestellt wurde, dann darf ein solcher Auftritt nicht stattfinden und das Konzert hätte verboten werden müssen. Wir wurden leider nicht über den Vorgang informiert. Steht ein solches Problem der Gewaltverherrlichung oder des Aufrufs zur Gewalt an, muss die Stadt uns einbeziehen. Weder Herr Grothe noch der für Sicherheit und Ordnung zuständige Bürgermeister Wright haben jemals mit mir gesprochen. Stattdessen wurde eine Demonstration organisiert, bei der Bürgermeister Wright und Stadtverordneter Grothe mitgelaufen sind. Herr Wright ist nach halber Strecke zum Stadtfest abgebogen und Herr Grothe hat die Demonstration mit dem Lautsprecherwagen bis zum Messegelände begleitet.
Die Stimmung war aufgeheizt und im Ergebnis haben sich etwa 100 Gewalttäter von der Demonstration abgesetzt, Polizei und Wachschutz überrannt, das Messegelände demoliert und über 30 Menschen teils mit Eisenstangen auch schwer verletzt. Auf Facebook hat Herr Grothe die Gewaltaktion anschließend als „Sieg für Gerechtigkeit und Demokratie“ gefeiert, obwohl er als Zaungast das Großaufgebot an Rettungsdiensten und Polizei vor Ort gesehen hat und ihm das Ausmaß der Brutalität klar gewesen sein muss. Sein Verhalten wurde nicht geahndet, die grüne Fraktion im Stadtparlament hat sich hinter ihn gestellt und seine Zustimmung zur Gewalt gedeckt. Ich denke, das war der große Fehler. Damit wurde ein Signal ausgesendet, dass man mit Gewalt seine Ziele erreichen kann. Auch die Vorsitzende des Vereins, der die Demonstration angemeldet hatte, hat sich nicht von der Gewalt distanziert und triumphiert, dass die Polizei aus Sicherheitsgründen das Konzert absagen musste. Sie hat in ihrem Facebook-Eintrag aufgerufen, weiter so vorzugehen, um Erfolge zu erzielen. Damit war ein Damm gebrochen. Gewalt wurde als Methode in der politischen Auseinandersetzung legitimiert, ein Teil der lokalen Politik hat sich durch die Rückendeckung von Herrn Grothe quasi zustimmend geäußert. Es fehlte die klare Forderung der Politik, die Gewalttäter und deren geistige Hintermänner zu stellen.
Frage: Sie wussten also, dass das Festival angegriffen werden könnte?
Antwort: Die Polizei hatte uns vor wenigen Monaten mitgeteilt, dass entsprechende Aufrufe im Netz unterwegs wären. Es gäbe Aussagen wie es würde keine Rücksicht auf Alte, Frauen oder Kinder genommen, keiner käme lebend vom Festival. Wir waren alle gewarnt. Der Veranstalter wollte dennoch durchführen und stimmte frühzeitig mit der Stadt, den Sicherheitsbehörden und auf Wunsch der Stadt unter unserer Mitwirkung die zu erbringenden Sicherheitsmaßnahmen auf dem Messegelände ab. Die Polizei war bereits viele Tage vor dem Festival mit Vorbereitungen beschäftigt. Dann kam das überraschende Verbot der Veranstaltung durch die Stadt, in den Vorgesprächen hatte sie diese Möglichkeit mit keinem Wort angedeutet.
Frage: Der Vorsitzende des BID-Seltersweg, Herr Ebert, hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie Schuld sind an dem Chaos zum Eritrea-Festival, Sie hätten einfach nicht vermieten dürfen.
Antwort: Ich kann die emotionale Reaktion verstehen. Doch müssen wir uns bewusst machen, was es bedeutet, wenn wir ohne juristischen Anlass nicht vermieten. Wir diskriminieren eine klar definierte Gruppe, die Eritreer in Deutschland, die bereits seit vielen Jahren hier sind, weil eine andere Gruppe, die Eritreer, die erst seit kürzerem hier sind, Gewalt angedroht und ausgeübt hat. Wir erkaufen uns einen Scheinfrieden, indem wir uns der Gewalt beugen. Damit kapituliert der Rechtsstaat vor dem Faustrecht, der Selbstjustiz und stimuliert zu Gewaltaktionen, um unliebsame Veranstaltungen zu unterbinden.
Das dies nicht sein darf, hat das Verwaltungsgericht mit seinem Urteil gegen das Veranstaltungsverbot der Stadt klargemacht und wurde vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt. Für die pauschale Kritik am Urteil des Verwaltungsgerichts und für die Schuldzuweisungen an das Gericht, es hätte die Ausschreitungen verhindern können, wenn es das Verbot der Veranstaltung bestätigt hätte, fehlt mir jedes Verständnis. Der Staat hat das Gewaltmonopol, das er sich nicht von gewaltbereiten Störern nehmen lassen darf. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit muss geschützt werden, auch wenn man die Gruppe die sich versammelt nicht unbedingt mag. Wir dürfen keine Täter-Opfer-Umkehr betreiben.
Für mich stellt sich die Frage, wieso Bürgermeister Wright nach den massiven Gewaltankündigungen nicht die beantragten Demonstrationen in unkritische Bereiche der Stadt gesteuert hat oder sie nach ersten Ausschreitungen komplett untersagt hat. Damit wären die bekannten Szenen vermieden worden oder zumindest in diesem Ausmaß nicht entstanden. Wir reden also von aggressiven Demonstrationsteilnehmern, die Gewalt im Vorfeld angekündigt hatten, die Teilnehmer des Festivals waren daran nicht beteiligt.
Deshalb erstaunt es mich, dass Herr Ebert ausschließlich uns ins Visier nimmt und die Verantwortung der Stadt überhaupt nicht thematisiert. Er fordert wie selbstverständlich von uns bewusste Diskriminierung, obwohl es keinen rechtlichen Anlass dafür gibt. Wir sollen ein Schild raushängen, „ihr könnt hier nicht mieten“. Wenn das sein Schuhladen machen würde, „kein Verkauf an: …“, wären wir wieder zurück in dunklen Zeiten. Diskriminierung ist dann so schrecklich, wenn sie moralistisch und nicht rechtlich begründet ist.
Zudem ist ein simples Verbot meines Erachtens auch nicht die Lösung, sie führt in ein Dilemma. Welche Veranstaltungen darf man noch durchführen? Dürfen wir an einen erkennbar aus Afrika stammenden Interessenten für welche Art von Veranstaltung auch immer vermieten? Es könnte ein Eritreer sein, ist er „gut“ oder „böse“ und könnte es Demonstrationen geben? Was sollen wir als Vermieter alles prüfen? Auch andere Veranstaltungen könnten damit in den Fokus rücken, wenn es Gegner gibt. Es gab bereits Demonstrationen gegen die Bundeswehr als Aussteller zur CHANCE, was ist mit der Gießener Neuwagenmesse (GINA), es gibt durchaus radikale Autogegner?
Ein Veranstaltungsverbot muss sorgfältig abgewogen werden, wir dürfen nicht leichtfertig in Grundrechte eingreifen. Bisher wird das Verbot von Veranstaltungen durch Gesetze geregelt, im Zweifel müssen Gerichte entscheiden, da können wir nicht machen was wir wollen. Sicher haben wir durch die herangetragene Gewalt der Störer eine Sondersituation, auf die wir nun angemessen reagieren und worüber wir entscheiden müssen. Doch das sollte mit Augenmaß und mit Blick auf die Konsequenzen geschehen.
Frage: Ihnen wird vorgeworfen, sie würden lediglich aus Profitgier an das Festival vermieten.
Antwort: Das ist der Vorwurf eines Journalisten, dem offenbar das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge fehlt. Wir führen im Messegelände jährlich über 100 verschiedenste größere und kleinere Veranstaltungen durch und wir freuen uns über jede Veranstaltung. Das ist unser Geschäft, das wir neutral, offen, gesetzestreu und kundenorientiert betreiben. Das Eritrea-Festival liegt im unteren mittleren Bereich. Wir sind also weder abhängig vom Festival, noch ist es die unterstellte Geldgier. Es gehört zum Wesen der Wirtschaft, dass man Geld einnehmen muss, damit man seine Kosten begleichen kann. Ziel eines Unternehmens ist es, Gewinn zu erwirtschaften, nur dann ist man in der Lage zu investieren. Diese Zusammenhänge sind bedauerlicherweise nicht jedem Journalisten geläufig, auch in der Politik herrscht oftmals eine Kenntnislücke. Solche Aussagen zeugen nicht unbedingt von sachlicher Argumentation in einem journalistischen Kommentar.
Frage: Wie wird es weitergehen? Wird es 2024 ein Eritrea-Festival in Gießen geben?
Antwort: Das wird sicher ein schwieriger Prozess zur Entscheidungsfindung, der durch einen Mediator und rechtlich begleitet werden sollte. Ich möchte eine Lösung finden, die auch vor Gericht hält und die der Gewalt keinen Vorschub leistet. Da ist als erstes der Veranstalter gefragt, anschließend die Stadt. Wir sind sicher in der schwierigsten Lage und sitzen zwischen den Stühlen. Man kommt nicht an der Feststellung des Verwaltungsgerichts vorbei, „Der vorliegende Sachverhalt gibt keinen hinreichenden Anlass zu der Prognose, dass der Antragsteller keine Gewähr für eine ordnungsgemäße vorübergehende Gewerbeausübung bietet. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass der Antragsteller (wiederholt) gegen Anordnungen der Antragsgegnerin verstoßen hat“. Ein Verbot der Veranstaltung war nach Ansicht des Gerichts nicht gerechtfertigt. Wir müssen diskriminierungsfrei vermieten und haben zudem einen Kontrahierungszwang, wie sie beispielsweise jede Stadthalle ebenfalls hat. Zudem führen wir keine moralische Beurteilung durch, das können und wollen wir nicht. Wir halten uns an Recht und Gesetz, im Grunde ist es das, was uns jetzt vorgeworfen wird.
Vielleicht ist es blauäugig, doch statt den Konflikt anzuheizen, wäre es sinnvoll, Gespräche zwischen den Parteien zu initiieren. Die jungen Gewalttäter müssen verstehen, dass sie mit ihrem Verhalten in unserer Gesellschaft keine wirklich erfreuliche Zukunft haben. Sie sollten sich besser mit den bereits seit Jahren hier lebenden Landsleuten austauschen und die Chancen nutzen, die unser Land allen bietet, die sich integrieren wollen und die Beiträge für die Gesellschaft leisten, statt sie kriminell zu belasten. Für den Erfahrungsaustausch zwischen Eritreern kann das Festival eine Plattform sein, davon könnten alle Seiten
profitieren. Dialog statt Gewalt wäre ein Motto, das die Menschen zusammenführen könnte. Dies umzusetzen, ist die Aufgabe, die von allen Beteiligten mit Nachdruck verfolgt werden sollte. Gewalt ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Das muss deutlich vermittelt werden. In einem sind wir uns glaube ich alle einig. Der innereritreische Konflikt ist nicht in Deutschland zu lösen und darf auch nicht in Deutschland ausgetragen werden. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten.
Rechtliche Hintergründe zu Vertragsfreiheit, Diskriminierungsverbot und Kontrahierungszwang
Einschränkungen der in Deutschland bestehenden Vertragsfreiheit können sich insbesondere aus dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ergeben. Das Verbot soll die Diskriminierung von Minderheiten verhindern und beruht auf dem Grundsatz der Menschenwürde. (Diskriminierungskategorien: Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung.)
Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet und sanktioniert Benachteiligungen von Personengruppen. Das Benachteiligungsverbot erfasst aber nicht alle Arten von Verträgen, sondern ist auf die in § 2 Abs. 1 AGG genannten Bereiche begrenzt. Ziffer 8 des § 2 Abs. 1 AGG betrifft den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Verstöße gegen das AGG können rechtliche Sanktionen, insbesondere Schadenersatzansprüche, nach sich ziehen. Nach § 21 Abs. 2 AGG besteht auch ein Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung.
Die Abschlussfreiheit eines Vertrages wird zudem durch eine gesetzlich auferlegte Pflicht zur Annahme eines Vertragsangebotes, dem Kontrahierungszwang, eingeschränkt. Ein mittelbarer Kontrahierungszwang besteht, wenn sich die Abschlusspflicht nicht direkt aus dem Gesetz ergibt. Dies ist beispielsweise bei wichtigen Gütern des Wirtschaftslebens und bei sachlich ungerechtfertigter und sittenwidriger Ablehnung des Nachfragers durch marktbeherrschende Unternehmen mit Monopolstellung der Fall.
Hier besteht mittelbar eine Verpflichtung zum Vertragsabschluss, welche sich aus § 826 BGB ableitet und bei einem Verstoß einen Anspruch auf Schadenersatz bereithält. Ebenso gilt dies auf dem kulturellen Gebiet wie z.B. Theater oder städtischen Schwimmbad.
Links:
www.bundestag.de/resource/blob/648690/4f1c87f54751e43d0442436ce0a86f63/WD-3-101-19-pdf-data.pdf